Gesamtdeutsches Team überzeugt bei Olympia 1960 – Niedersachsens Sportler stark in der Hitze von Rom

Grazie Roma – An die Olympischen Spiele 1960, die vom 25. August bis 11. September in der italienischen Metropole stattfanden, denken viele Sportfans auch 60 Jahre später gerne zurück. In der gesamtdeutschen Mannschaft traten zum zweiten Mal nach Melbourne 1956 bei Sommerspielen die besten Sportler aus der Bundesrepublik und der DDR mit einheitlicher Kleidung, einer Fahne und einer Hymne an. Die Athletinnen und Athleten begeisterten mit zahlreichen Top-Leistungen und unerwarteten Erfolgen. Das verblüffte selbst die Sport-Experten aus Ost und West.

„Sie haben so viele Medaillen gewonnen, so oft in den Endkämpfen gestanden, wie wir das vor den Tagen vor Rom selbst in unseren kühnsten Träumen niemals erwartet haben“, bewertete der damalige Augenzeuge Heinz Maegerlein in seinem Buch „Olympischen Spiele 1960“ fast ungläubig das überragende Abschneiden der deutschen Asse in der Hitze von Rom. Der bekannte Funk- und Fernsehkommentator wollte die vielen Medaillen allerdings nicht zählen und verzichtete in seinem Bildband, der noch im Olympiajahr erschien, neben einem umfassenden Ergebnisteil konsequent auf den Medaillenspiegel.

GOLD FÜR STAFFEL-SPRINTER MAHLENDORF

Anders hingegen das Buch „Die Olympischen Spiele 1960 Rom – Squaw Valley“, herausgegeben von Robert Lembke im Bertelsmann-Lesering. Dort sind fein säuberlich 12 Goldmedaillen, 19 Silberplaketten und 11 Bronzeplätze für Deutschland aufgelistet. Das bedeutete Rang vier in der Länderwertung hinter der UdSSR (43/29/31), USA (34/21/16) und Gastgeber Italien (13/10/13). Auch die niedersächsischen Sportlerinnen und Sportler imponierten im heißen Süden. Sie trugen mit dreimal Gold für Walter Mahlendorf, Peter Kohnke und Alwin Schockemöhle, zweimal Silber für Jutta Heine sowie mehreren Top-Ten-Plätzen maßgeblich zur guten Gesamtbilanz bei.

„Wir haben die Amerikaner nervös gemacht mit unserer Weltrekordeinstellung schon im Vorlauf“, erinnerte der inzwischen 85 Jahre alte Mahlendorf in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung/4. August 2020“ an die dramatische Olympia-Entscheidung in der 4x100m-Staffel. Der für Hannover 96 startende Sprinter lief hinter Bernd Cullmann und Armin Hary an Position drei ein beherztes Kurvenrennen. Der deutsche Schlussläufer Martin Lauer und der Amerikaner Dave Sime stürmten gleichauf ins Ziel. „Beide zerreißen, im Aufschrei der Hunderttausend, das Zielband. Und keiner im weiten Oval weiß mit Sicherheit den Sieger zu nennen“, heißt es dazu in Lembkes Olympiabuch.

Erst nach einer mehrminütigen Wartezeit wurde das deutsche Quartett zum Sieger erklärt. Die US-Amerikaner, die bei einer Zielfoto-Entscheidung wahrscheinlich vorne lagen, hatten beim ersten Wechsel die Wechselmarke überschritten und wurden disqualifiziert. Mahlendorf und seine drei Mitstreiter stellten mit 39, 5 Sekunden abermals den Weltrekord ein.

Der schnelle Niedersachse hatte sich erst wenige Wochen zuvor das Olympia-Ticket gesichert. Bei der Ost-West-Ausscheidung der deutschen Leichtathleten am 6. August 1960 in Hannover belegte der gebürtige Sarstedter, der inzwischen in Bochum lebt, auf seiner Hausbahn im Niedersachsenstadion den zweiten Platz im 100-Meter-Lauf hinter dem späteren Olympiasieger Armin Hary.

KOHNKE UND SCHOCKEMÖHLE NERVENSTARK

Am vorletzten Wettkampftag in Rom trumpfte der nervenstarke Sportschütze Peter Kohnke von der Schützengesellschaft Bremervörde ganz groß auf. Der 18-Jährige sicherte sich mit 590 Ringen die Goldmedaille im Kleinkaliber-Liegendkampf vor dem Favoriten James Hill (USA/589). Auch in den folgenden Jahren zählte der gebürtige Königsberger zur internationalen und nationalen Spitze, ehe 1975 ein schwerer Verkehrsunfall in Bremervörde das Leben des Olympiasiegers mit 33 Jahren abrupt beendete.

Springreiter Alwin Schockemöhle vom Reitverein Mühlen genoss am Schlusstag das Bad in der Menge im römischen Olympiastadion. Mit seinen routinierten und bereits mit olympischen Medaillen dekorierten Kollegen Hans Günter Winkler und Fritz Thiedemann siegte der Jungspund im Preis der Nationen in überlegener Manier mit 46,50 Punkten vor den USA (66) und Italien (80,5). Kurz vor der Abschlussfeier ertönte für das Trio Beethovens 9. Sinfonie. Die Ode an die Freude wurde von 1956 bis 1968 statt der Nationalhymne für alle Olympiasieger aus den beiden deutschen Staaten gespielt.

Schockemöhle dirigierte in der 150. und letzten Olympia-Entscheidung in Rom sein Pferd Ferdl souverän durch den Parcours. Die 17 Strafpunkte konnte das Team problemlos verkraften. Zu diesem Zeitpunkt ahnte der Landwirt nicht, dass seine größte Olympiastunde erst 16 Jahre später schlagen sollte. 1976 in Montreal gewann Schockemöhle Gold im Einzel und Silber mit der Equipe.

NUR RUDOLPH ZU SCHNELL FÜR HEINE

Jung, blond und schnell – Jutta Heine vom DHC Hannover war Anfang der 60er Jahre der weibliche Star der deutschen Leichtathletik. Wenige Tage vor ihrem 20. Geburtstag feierte die Sprinterin mit zwei Silbermedaillen über 200 Meter und mit der 4×100-Meter-Staffel den Höhepunkt ihrer relativ kurzen Karriere. Nur an Ausnahmeläuferin Wilma Rudolph kam die vielseitige Heine nicht vorbei. Die 20-jährige Amerikanerin avancierte mit drei Goldmedaillen zur Königin der Aschenbahn und zum Gesicht der Olympischen Spiele 1960.

Niedersachsens Leichtathleten hatten neben Heine und Mahlendorf noch andere Spitzenkönner zu bieten, die sich in den harten Olympia-Ausscheidungen für die Spiele in Rom qualifizieren konnten. So verpassten Vera Kummerfeld (TuS Empelde) über 800 Meter und der Weitspringer Manfred Steinbach (VfL Wolfsburg) jeweils als Vierte das Olympia-Treppchen nur knapp. Hochspringer Theo Püll (VfL Wolfsburg) landete auf dem achten Rang. Auch die Oldenburger Rückenschwimmerin Helga Schmidt und Kohnkes Bremervörder Clubkollege Bernd Klinger, der in Rom nicht ganz so gut zielte, dafür 1968 in Mexiko als Olympiasieger im KK-Dreistellungskampf ins Schwarze traf, hatten ihren Anteil an der erfolgreichen Olympia-Bilanz in der Ewigen Stadt.

Text: Peter Hübner, August 2020